„Was bedeutet es, wenn mich eine Frau anguckt?“

fragt mich ein 20-jähriger Syrer, der bereits 2 Jahre in Deutschland ist.
„Kann etwas bedeuten“, sage ich,„muss aber nicht.“

Wie das kleine Beispiel zeigt: Die Integration der Flüchtlinge ist ein langer und komplizierter Prozess. Es geht nicht allein um den Spracherwerb, es geht auch und vor
allem darum, eine andere Kultur verstehen zu lernen und sich in ihr zurecht zu finden.

Mein privater Deutschkurs für Flüchtlinge – der mich seit 2015 beschäftigt – hat sich im
letzten Jahr stark gewandelt. Der größte Teil meiner Schüler aus Syrien, Irak, Eritrea und
dem Jemen befindet sich nun endlich in staatlichen Einrichtungen, einige sind in Alphabetisierungskursen gelandet, die meisten aber in Deutschkursen für Fortgeschrittene. Jetzt bereiten sich viele auf die Sprachprüfungen B 1 und B 2 vor. Mit dem Erwerb dieser
Zertifikate hat sich ihre Chance auf einen Ausbildungsplatz wesentlich erhöht. Manche
von ihnen können entsprechend ihrer schulischenVorbildung nach einerweiteren Prüfung
sogar einHochschulstudiumbeginnen.
Also alles in allem eine Erfolgsgeschichte? Eher nicht.

  • Die offiziellen Sprachkurse sind überfüllt, meine Ehemaligen klagen über ungenügendes
    Sprachtraining und eine Durchfallquote von bis zu 90 %.
  • Alle Afghanen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, sind immer noch vom staatlichen Sprachunterricht ausgeschlossen.
  • DieWartezeit einer von mir unterstützten afghanischen Familie dauert bereits über 3 Jahre.
  • Die neuen Flüchtlinge müssen nach wie vor lange auf ihre Zulassung und einen Platz in einem Anfängerkurs warten.

So sammeln sich in meinemUnterricht jetzt die Ehemaligen, die Angst vor der Prüfung haben und sich von meiner Mithilfe eine größere Chance erhoffen, die Prüfung zu bestehen, sowie Afghanen und Neuankömmlinge aus verschiedenen Herkunftsländern. Neben demSpracherwerb bemühe ich mich
aber auch, sie auf dieVorzüge unserer offenen Gesellschaftsordnung hinzuweisen. Das gelingt nicht immer. So heißt es z.B. imDiktat: „Meine Tochter geht in die Disco.“ Hier soll die Übung des Akkusativ mit Beispielen aus unserer westlichen Lebensart kombiniert werden.Meinsyrischer Familienvater schreibt allerdings: „Meine Tochter geht n i c h t in die Disco“.
Dagegen ist mein super fleißiger Iraker,was Pünktlichkeit angeht, bereits gut integriert.
Er sollte amEnde seines staatlichen Sprachkurses die Lehrerin und ihren Unterricht bewerten. Er notiert: „Ich freue mich, dass du unsere Lehrerin warst. Manchmal warst du nicht immer pünktlich.“
Einen Job hat er bereits in Aussicht.

Astrid Kruhl